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Bild von Krisi Sz.-Pöhls - http://www.salidaswelt.com/html/kids.html |
„Winnetou,
bitte, bitte, verdirb uns den Spaß nicht.“ Rapunzel sieht ihren großen Bruder
flehend an. Ihre Eltern haben den Beutezug nur erlaubt, wenn jemand auf sie
aufpasst.
Cäsar will zwar
mitkommen, ist aber leider in den Augen der Eltern als Aufpasser nicht alt
genug.
„Nachtigall und
ich haben keine Zeit für diesen Unfug“, meint Picasso. So richtig bei der Sache
ist er nicht. Er liest nämlich nebenbei einen Brief. Nachtigall und Picasso
sind die Eltern von Rapunzel. Picasso wird so genannt, weil er Maler ist und genauso
herumkleckst wie sein berühmtes Vorbild und Nachtigall ist Sängerin, auch wenn
ihre Lieder anders klingen als die von dem kleinen Vogel.
„Das ist kein
Unfug“, protestiert Cäsar sofort.
„Ich komme mit,
ich passe auf“, biete ich großzügig an. Doch dafür ernte ich nur Gelächter.
Dabei habe ich daheim auch bei meinen kleinen Geschwistern Babysitter gespielt.
„Auf was soll
eine kleine Ratte schon aufpassen? Außerdem machst du mehr Unsinn als Rapunzel
und Cäsar zusammen“, antwortet Picasso.
So eine
Gemeinheit. Ich bin eine vernünftige und verantwortungsbewusste Ratte!
Schließlich stamme ich aus der königlichen Familie ab. Nur die können die
Menschensprache sprechen.
Cäsar schaut zu seinen
beiden Schwestern, doch die schütteln nur mit den Köpfen. „Geht nicht, wir
würden ja gern mitkommen, aber wir müssen für Mathe und Chemie lernen. Wir
schreiben jede Woche zwei Klassenarbeiten.“
Zum Glück kommt
gerade Zorro vom Sportplatz, auf dem er mit seinen Freunden gebolzt hat.
„Wenn ich ein
Kostüm bekomme, komme ich mit“, erklärt er sich bereit. Sofort rennen alle Kinder
in den Keller und wühlen in einem großen Karton, der Faschingskostüme enthält.
Die beiden großen Mädchen haben auf einmal Zeit und müssen gar nicht lernen.
Rapunzel findet
ein Hexenkostüm, dass sie schon zu Fasching getragen hat, Cäsar zieht ein
Vampirkostüm aus dem Karton. Seine Schwestern erklären sich bereit, ihn zu
schminken.
Selbst Zorro
entdeckt ein Fledermauskostüm. Vor Jahren von Nachtigall für Picasso gebastelt.
„Und was ziehe
ich an?“, frage ich erbost. Alle haben ihren Spaß, nur um mich kümmert sich
keiner.
„Du siehst so
schon gruselig genug aus!“, sagt Zorro. Und alle lachen.
Beleidigt
verkrieche ich mich in Rapunzels Jackentasche. Fies! Ich bin ein hübscher
Prinz. Rapunzels Freunde finden mich niedlich. Jawohl!
„Süßes oder
Saures geht gar nicht. Ich will euch nicht bei der Polizei abholen müssen.“
Picasso ist wirklich verärgert. Als ob er seine Kinder schon einmal bei der
Polizei hätte abholen müssen! Die sind alle so vernünftig. Müssen sie auch
sein, schließlich kümmern sich die beiden Eltern nicht so viel um sie. Die sind
nämlich immer mit Geldverdienen beschäftigt.
„Wir machen auch
nichts Schlimmes“, verspricht Cäsar sofort.
„Eigentlich ist
am 31.10. Reformationstag“, meint Nachtigall. Sie schaut über den Zeitungsrand
in die Runde.
„Was ist das?“,
fragt Rapunzel.
„Im Jahr 1517
hat Martin Luther die Missstände der Kirche angeprangert und damit die
evangelische Kirche gegründet“, erklärte Winnetou. Aber das interessiert
momentan niemanden.
Die Kinder
unterhalten sich über die Kostüme. „Ihr solltet nicht nur an der Tür stehen und
„Süßes oder Saures“ schreien“, sagt Nachtigall.
„Und was sollen
wir sonst machen?“, fragt Rapunzel.
„Wir haben
früher beim Martinssingen Süßigkeiten gesammelt“, erklärt Picasso.
Nachtigall
nickt. „Das finde ich auch schöner. Ich suche euch Lieder heraus, die ihr
singen könnt.“
Tatsächlich hält
sie Wort. Schon am nächsten Tag legt sie Zettel mit fünf verschiedenen Liedern auf
den Tisch. „Lieder, mit denen ihr um eine Gabe bittet, ein Danklied hinterher
und ein Lied, wenn ihr nichts erhalten habt“, erklärt sie. Dann setzt sie sich
ans Klavier und spielt die Lieder und singt sie. Die Kinder üben sie brav. Ich
singe auch mit, aber Nachtigall sagt sofort: „Hör auf, Prinz. Wenn du singst,
bekommt ihr nicht einmal aus Mitleid etwas.“
Das ist die
Höhe! Beleidigt verschwinde ich unter dem Klavier und höre mir den Gesang an.
Die Familie kann wirklich singen. Es klingt gut.
Den ganzen
nächsten Tag trällert Rapunzel die Lieder, langsam mag ich sie nicht mehr
hören. Doch sie lacht nur, wenn ich mich beschwere.
Am Halloweentag
ist Rapunzel ganz aufgeregt. Gespannt wartet sie, dass es dunkel wird und sie
losziehen können. Die Hausaufgaben hat sie in Windeseile erledigt. Das sieht
man ihnen auch an. So schmiert sie sonst nie.
„Wann schminkt
ihr mich?“, fragt sie immer wieder ihre Schwestern.
„Wenn es Zeit
wird“, erwidern die und schmeißen sie aus dem Zimmer raus, damit sie in Ruhe
lernen können. Doch endlich darf sich Rapunzel umziehen und wird geschminkt.
Auch bei Cäsar toben sich die beiden Mädchen aus. Hinterher sieht er wirklich
gefährlich aus. Sein Gesicht ist ganz weiß. Dazu hat er große Plastikzähne im
Mund und an einem Mundwinkel sind Blutstropfen aufgemalt.
Und sogar ich
werde gestylt. Meine Haare werden mit Gel hochgebürstet und mit Puder weiß
gefärbt. Begeistert stehe ich vor dem Spiegel und drehe mich hin und her, bis
Rapunzel mich packt und auf ihre Schulter setzt.
„Zorro, bist du
fertig?“ Ja, auch Zorro ist fertig und gemeinsam ziehen sie los.
„Was machen wir,
wenn wir nichts bekommen?“, fragt Cäsar. „Nur ein Lied zu singen finde ich
blöd.“
„Soll ich meine
Verwandten holen, damit sie durch den Garten laufen? Oder in die Garage einziehen?“,
biete ich an.
„Das ist
gemein“, sagt Rapunzel.
Und Zorro sagt:
„Untersteh dich.“ Er klingt wirklich energisch.
„Wir sollten
Prinz zur Strafe singen lassen.“ Cäsar kichert und die anderen lachen
ebenfalls. Warum bleibe ich eigentlich bei diesen Banausen? Ich singe wirklich
gut! Viel besser als andere Ratten.
Dann klingeln
sie beim ersten Nachbarn. Sie singen und bekommen tatsächlich Bonbons.
Bestimmt, weil ich so schrecklich gefährlich aussehe. Zum Dank singen sie
hinterher das Dankeslied.
So ziehen wir
von Haus zu Haus und die Beutel werden immer schwerer. Eine Haustür wird nicht
aufgemacht, dabei höre ich ganz deutlich Stimmen.
„Die stehen am
Fenster“, sage ich. „Soll ich sie erschrecken? Soll ich durch den Briefschlitz
klettern?“
„Nein“, sagen
Rapunzel und Cäsar einstimmig.
Doch ich
klettere schon an Rapunzels Arm hinunter.
„Dann musst du
dort bleiben, allein kommst du nicht mehr raus“, meint Zorro und dreht sich um.
„Aber ...“,
fange ich an.
„Lass sie, wenn
sie Angst haben.“
„Angst? Wir tun
doch nichts.“ Menschen sind wirklich komisch. Warum haben die Angst vor ein
paar Kindern?
„Und was ist mit
deiner Rattenplage?“, fragt Zorro.
„Die sind doch
harmlos, das sind meine Verwandten.“
„Menschen sehen
das anders“, meint Zorro.
Inzwischen sind wir
an einem alten kleinen Haus angelangt. Ein grauhaariges Ehepaar öffnet die Tür.
Sie sind so begeistert von dem Lied, dass sie tatsächlich 20 Euro geben. „Wie
schön, dass ihr singt und nicht nur Drohungen schreit“, sagt der Herr.
„Das können wir
nicht annehmen“, sagt Zorro.
„Doch, ihr habt
uns so eine große Freude gemacht“, sagt die alte Dame.
Zum Dank singen
die Kinder noch ein paar alte Schnulzen, die sie früher einmal geübt haben. Der
Dame stehen die Tränen in den Augen. Vielleicht sollten wir hier ab und zu
vorbeikommen und etwas vortragen. Ich werde es daheim Rapunzel vorschlagen.
Schließlich kann man Nachbarn ab und zu eine Freude machen.
„Wir müssen nach
Hause“, drängt Zorro. „Nachtigall und Picasso erwarten uns pünktlich.“
„Nur noch zu
Frau Müller“, meint Rapunzel und springt die Treppe zum Nachbarhaus hoch.
Doch auch Frau
Müller öffnet nicht. die Wohnung ist dunkel. Aber Rapunzel und Cäsar lassen
sich davon nicht beeindrucken. Sie singen trotzdem so lange, bis Frau Müller
schließlich die Haustür öffnet und sie hereinbittet. Sie kocht den Kindern sogar
Kakao und bietet ihnen Kuchen an. Und mir stellt sie ein paar Apfelscheiben
hin. Ich liebe alte Nachbarinnen!
Natürlich sind
die Eltern ärgerlich, weil die Kinder zu spät kommen. Doch als Rapunzel von
Frau Müller erzählt, sind Nachtigall und Picasso auch nicht mehr böse.
„Bringt ihr und
den beiden anderen älteren Herrschaften doch Eintrittskarten für mein Konzert
vorbei“, schlägt Nachtigall vor.
Nach dem
Abendessen schütten die Kinder ihre Beutel auf den Esstisch aus und weil sie
sich alle gut verstehen, teilen sie die Bonbons gerecht unter sich auf. Ich
bekomme auch ein paar, die ich gleich auffresse. Hinterher ist mir ganz
schlecht und mein Bauch tut weh.
„Mama, Prinz ist
krank.“ Rapunzel holt aus Sorge Nachtigall. „Er braucht einen Arzt.“
Nachtigall
schaut mich an. „Der hat sicher nur zu viel gefressen. Leg ihn in den Käfig, dann
stellen wir die Wärmelampe daneben. Das hilft bestimmt.“
Tatsächlich,
dank der Wärme entspannt sich mein Bauch. Ich schlafe ein und träume von Hexen,
Vampiren und vielen, vielen Bonbons.
©Annette Paul
Krisi Sz.-Pöhls
lebt recht
zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen
gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die
Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu "Immer diese Tiere", „Rattenprinzessin
Rapunzel“, „Ratte Prinz im
Weihnachtsbaum“, „Hopser will helfen“ „Der Bär mit der
Brille“ und „Klein Henning und der
Delfin“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei www.zazzle.de/mbr/238764950947258943